Veröffentlicht am Mai 17, 2024

Wirkliches Wohlbefinden entsteht nicht durch reine Willenskraft, sondern durch einen bewussten Dialog mit unserem Nervensystem.

  • Der Vagusnerv ist die entscheidende Kommunikationsbrücke zwischen Körper und Gehirn, die unsere Reaktion auf Stress und Sicherheit steuert.
  • Die Herzratenvariabilität (HRV) ist ein messbarer Indikator für dieses Gleichgewicht und kann durch einfache, alltägliche Praktiken aktiv verbessert werden.

Empfehlung: Konzentrieren Sie sich nicht auf große Veränderungen, sondern auf kleine, gezielte Impulse wie bewusste Atmung oder kurze Bewegungseinheiten, um Ihr parasympathisches Nervensystem – Ihre innere Bremse – zu aktivieren.

Viele meiner Patientinnen und Patienten kommen mit einem Gefühl der Zerrissenheit in meine Praxis. Sie berichten von Nackenverspannungen nach einem stressigen Arbeitstag, von einem flauen Gefühl im Magen vor einer wichtigen Präsentation oder von einer allgemeinen Erschöpfung, die sich einfach nicht abschütteln lässt. Der gängige Rat lautet dann oft: „Treiben Sie mehr Sport“, „Ernähren Sie sich gesünder“ oder „Denken Sie einfach positiver“. Diese Ratschläge sind zwar gut gemeint, kratzen aber nur an der Oberfläche. Sie behandeln den Körper und den Geist wie zwei getrennte Einheiten, die man unabhängig voneinander reparieren kann.

Doch was wäre, wenn die eigentliche Ursache tiefer liegt? Was, wenn Ihre körperlichen Beschwerden und Ihre mentale Verfassung nur zwei Seiten derselben Medaille sind, die in einer ständigen, unsichtbaren Sprache miteinander kommunizieren? Die moderne Psychosomatik und Neurobiologie geben uns heute ein faszinierendes Verständnis für diesen inneren Dialog. Die wahre Ursache für das Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu sein, liegt oft in einer gestörten Kommunikation innerhalb unseres autonomen Nervensystems. Der Schlüssel zur Heilung liegt nicht darin, Körper oder Geist zu disziplinieren, sondern darin, ihre Sprache zu verstehen und den Dialog wieder in Harmonie zu bringen.

Genau hier setzt dieser Leitfaden an. Wir werden die üblichen Ratschläge hinter uns lassen und uns auf den Kern der Sache konzentrieren: den biologischen Dialog zwischen Ihrem Körper und Ihrem Gehirn. Ich möchte Ihnen zeigen, dass Sie nicht das Opfer Ihrer Stressreaktionen sein müssen. Stattdessen können Sie lernen, zum Dirigenten Ihres eigenen Wohlbefindens zu werden. Wir werden die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Verbindung erforschen, insbesondere die zentrale Rolle des Vagusnervs, und dann ganz praktische, alltagstaugliche Werkzeuge entdecken, mit denen Sie dieses System aktiv und positiv beeinflussen können – von Meditation und Yoga über Ernährung bis hin zu kleinen Alltagsritualen.

Dieser Artikel ist so aufgebaut, dass er Sie Schritt für Schritt von der wissenschaftlichen Erkenntnis zur praktischen Anwendung führt. Die folgende Übersicht gibt Ihnen einen klaren Fahrplan, um die Prinzipien des körperlich-geistigen Gleichgewichts zu verstehen und direkt in Ihr Leben zu integrieren.

Die Verbindung von Körper und Geist: Warum man das eine nicht ohne das andere heilen kann

Wenn wir von der Verbindung zwischen Körper und Geist sprechen, ist das keine esoterische Vorstellung, sondern handfeste Biologie. Der Hauptakteur in diesem Zusammenspiel ist das autonome Nervensystem (ANS), das wie ein Autopilot unsere unbewussten Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung steuert. Es besteht aus zwei Gegenspielern: dem Sympathikus (unserem „Gaspedal“ für Kampf- oder Fluchtreaktionen) und dem Parasympathikus (unserer „Bremse“ für Ruhe und Erholung). Der wichtigste Nerv des Parasympathikus ist der Vagusnerv. Er ist die direkte Kommunikationsautobahn zwischen unserem Gehirn und unseren inneren Organen.

Die revolutionäre Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen Porges hat unser Verständnis dieser Verbindung neu geformt. Sie zeigt, dass der Vagusnerv nicht nur ein, sondern zwei Hauptäste hat, die je nach Situation unterschiedliche Programme aktivieren. Fühlen wir uns sicher und sozial verbunden, ist der vordere, „ventrale“ Vagus aktiv. Wir sind entspannt, kreativ und offen für Kommunikation. Nehmen wir jedoch Gefahr wahr, übernimmt entweder der Sympathikus (Kampf/Flucht) oder, bei extremer Bedrohung, der hintere, „dorsale“ Vagus, der uns in einen Zustand der Erstarrung oder des Kollapses versetzt. Dieser Prozess der unbewussten Gefahreneinschätzung wird als Neurozeption bezeichnet.

Das Erstaunlichste an dieser Verbindung ist die Richtung des Informationsflusses. Man könnte annehmen, das Gehirn gäbe die Befehle und der Körper folge. Doch die Forschung zeigt, dass etwa 80 % der Nervenfasern des Vagusnervs Informationen vom Körper *zum* Gehirn leiten. Ihr Bauchgefühl, Ihr Herzklopfen, Ihre flache Atmung – all das sind Signale, die Ihr Gehirn empfängt und die Ihre Gefühle und Gedanken maßgeblich prägen. Deshalb ist es so schwer, sich aus einer Angstspirale „herauszudenken“. Um den Geist zu beruhigen, müssen wir oft zuerst den Körper in einen Zustand der Sicherheit versetzen.

Meditation für Skeptiker: Eine 10-Minuten-Anleitung für mehr Ruhe im Kopf

Viele Menschen, insbesondere gestresste Berufstätige, winken beim Wort „Meditation“ ab. „Dafür habe ich keine Zeit“ oder „Ich kann meine Gedanken nicht abstellen“ sind häufige Einwände. Doch es geht nicht darum, den Kopf leer zu machen, sondern darum, dem Nervensystem gezielt ein Signal der Sicherheit zu senden. Ein Schlüssel dazu ist die bewusste Steuerung der Atmung, denn die Atmung ist eine der wenigen Funktionen des autonomen Nervensystems, die wir willentlich beeinflussen können. Langsames, tiefes Atmen aktiviert direkt den Vagusnerv und damit unser parasympathisches Nervensystem.

Ein messbarer Indikator für die Balance unseres Nervensystems ist die Herzratenvariabilität (HRV) – die natürliche Variation der Zeitabstände zwischen zwei Herzschlägen. Eine hohe HRV ist ein Zeichen für ein flexibles, anpassungsfähiges und entspanntes System. Stress senkt die HRV. Das Gute daran: Sie brauchen keine stundenlangen Sitzungen. Studien zur Herzfrequenzvariabilität zeigen, dass bereits 15 Sekunden bewusstes Atmen ausreichen, um einen messbaren positiven Effekt auf die HRV zu erzielen. Das ist kürzer als das Warten auf den Aufzug.

Anstatt sich also unter Druck zu setzen, „richtig“ zu meditieren, versuchen Sie es mit einer einfachen Atemübung. Suchen Sie sich einen ruhigen Ort, an dem Sie für ein paar Minuten ungestört sind. Die 4-2-Atmung ist ein einfacher Einstieg:

  • Schritt 1: Atmen Sie für 4 Sekunden langsam und tief durch die Nase ein. Spüren Sie, wie sich Ihr Bauch hebt.
  • Schritt 2: Halten Sie die Luft für 2 Sekunden an.
  • Schritt 3: Atmen Sie langsam und vollständig durch den Mund oder die Nase wieder aus.

Wiederholen Sie dies für 5 bis 10 Minuten. Es ist eine direkte Nachricht an Ihr Gehirn: „Alles ist in Ordnung. Du kannst entspannen.“ Übrigens: Viele deutsche Krankenkassen, wie die Barmer, bezuschussen im Rahmen der Prävention nach § 20 SGB V zertifizierte Meditations- und Entspannungskurse, was die hohe anerkannte Wirksamkeit dieser Methoden unterstreicht.

Yoga ist mehr als nur Dehnen: Wie die Praxis Körper und Geist synchronisiert

Yoga wird oft fälschlicherweise auf reine Körperertüchtigung oder Stretching reduziert. In Wahrheit ist es eine jahrtausendealte Praxis, die darauf abzielt, durch die Verbindung von Bewegung (Asanas), Atmung (Pranayama) und Konzentration eine tiefe Harmonie zwischen Körper und Geist herzustellen. Jede Yoga-Haltung, jede bewusste Atembewegung ist eine Form des Dialogs mit unserem Nervensystem und insbesondere mit dem Vagusnerv.

Yogapraktizierende in Baumhaltung im deutschen Wald bei Morgenlicht

Wie genau funktioniert das? Viele Yoga-Übungen wirken direkt auf Bereiche, in denen der Vagusnerv verläuft. Sanfte Drehungen der Wirbelsäule massieren die inneren Organe und stimulieren so die Nervenenden. Umkehrhaltungen verändern den Druck im Brustkorb und beeinflussen den Blutdruck, was ebenfalls den Vagusnerv aktiviert. Vor allem aber synchronisiert Yoga die Atmung mit der Bewegung. Dieser rhythmische Wechsel von An- und Entspannung, gekoppelt an einen tiefen, ruhigen Atem, ist für unser Nervensystem das ultimative Signal der Sicherheit und Kontrolle. Die Deutsche Sporthochschule Köln bestätigt in ihren Analysen, dass Entspannungstechniken wie Yoga die Herzratenvariabilität (HRV) signifikant erhöhen und so die Regeneration fördern können.

In Deutschland gibt es eine breite Vielfalt an Yogastilen, sodass für jeden das Passende dabei ist. Es muss nicht immer der akrobatische Vinyasa-Flow sein. Gerade für Anfänger oder gestresste Menschen können ruhigere Stile sehr heilsam sein.

Yoga-Stile in Deutschland und ihre Wirkung
Yoga-Stil Hauptwirkung Wo in Deutschland
Hatha Yoga Balance durch Körperübungen und Atmung Volkshochschulen
Vinyasa Dynamische Bewegungsabläufe Fitnessstudios
Yin Yoga Tiefe Entspannung und Dehnung Yogaschulen

Gute Laune zum Essen: Wie Ihre Ernährung Ihre Stimmung direkt beeinflusst

Die Redewendung „Du bist, was du isst“ hat eine tiefere neurobiologische Wahrheit, als den meisten bewusst ist. Unser Darm wird oft als unser „zweites Gehirn“ bezeichnet, und das aus gutem Grund. Er ist über den Vagusnerv direkt mit unserem Gehirn verbunden und beherbergt ein komplexes Ökosystem von Billionen von Bakterien – das Mikrobiom. Diese Darmbakterien produzieren eine Vielzahl von Neurotransmittern, darunter etwa 90 % des körpereigenen Serotonins, unseres sogenannten „Glückshormons“. Eine unausgewogene Ernährung füttert die „schlechten“ Bakterien, was zu Entzündungen und einer verminderten Produktion von stimmungsaufhellenden Botenstoffen führen kann. Dies sendet über den Vagusnerv Stresssignale an das Gehirn.

Eine darmfreundliche Ernährung hingegen unterstützt ein gesundes Mikrobiom und fördert die psychische Resilienz. Es geht dabei weniger um strikte Verbote als um eine bewusste Auswahl. Ballaststoffreiche Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse und Obst sind die Leibspeise der „guten“ Bakterien. Omega-3-Fettsäuren (in fettem Fisch wie Lachs, Leinsamen oder Walnüssen) wirken entzündungshemmend. Auch die Regelmäßigkeit der Mahlzeiten spielt eine Rolle. So zeigen Messungen der Herzratenvariabilität, dass Menschen, die das Frühstück auslassen, oft den gesamten Vormittag über sehr niedrige Energie- und HRV-Werte aufweisen, was ein klares Zeichen für ein gestresstes System ist.

Eine Umstellung muss nicht kompliziert sein und lässt sich leicht mit Produkten aus jedem deutschen Supermarkt umsetzen. Hier ist ein einfacher Beispieltag:

  • Frühstück: Haferflocken mit Leinsamen (z.B. von Alnatura, erhältlich bei Edeka/Rewe) und frischen Beeren.
  • Mittagessen: Ein bunter Linsensalat mit viel frischem Gemüse wie Paprika, Gurke und Kräutern.
  • Abendessen: Gebratener Bio-Lachs mit gedünstetem grünem Saisongemüse wie Brokkoli oder Grünkohl.

Gleichzeitig sollten Sie versuchen, stark verarbeitete Lebensmittel, Zucker, Weißmehlprodukte und übermäßigen Alkohol zu reduzieren, da diese als Säurebildner wirken und das System zusätzlich belasten.

Gedanken aufs Papier bringen: Wie Journaling Ihnen hilft, den Kopf freizubekommen

Unsere Gedanken kreisen oft unaufhörlich, besonders in Stressphasen. Sorgen, To-do-Listen und unausgesprochene Ängste können sich zu einem überwältigenden mentalen Lärm entwickeln. Dieser Dauerstress hält unser sympathisches Nervensystem permanent auf Trab und verhindert die so wichtige Erholung. Journaling, also das regelmäßige Aufschreiben von Gedanken und Gefühlen, ist eine unglaublich wirksame Methode, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Es ist, als würde man dem Gehirn erlauben, seinen übervollen Arbeitsspeicher auf eine externe Festplatte auszulagern.

Indem Sie Ihre Gedanken und Sorgen zu Papier bringen, schaffen Sie eine kognitive Distanz. Sie betrachten Ihre Probleme von außen, anstatt in ihnen gefangen zu sein. Dieser Prozess hilft, unstrukturierte Ängste in konkrete, handhabbare Probleme zu verwandeln. Allein das Benennen eines Gefühls kann dessen Intensität bereits reduzieren. Aus neurobiologischer Sicht hilft dieser Akt der Externalisierung, die Aktivität in der Amygdala (unserem Angstzentrum) zu dämpfen und den präfrontalen Kortex (zuständig für logisches Denken und Planung) zu aktivieren. Sie schalten quasi vom reinen Reaktionsmodus in den Lösungsmodus um.

Eine Studie des Unternehmens Zengine hat gezeigt, dass die Kombination aus HRV-Messung und Journaling ein mächtiges Steuerungsinstrument für die eigene Gesundheit ist. Die Teilnehmer konnten genau nachvollziehen, welche Ereignisse oder Gedanken sie stressten und welche sie entspannten. Für überraschende 99 % der Teilnehmer waren die wahren Stressoren andere als die, die sie bewusst vermutet hatten. Journaling bringt also nicht nur Ordnung in die Gedanken, sondern fördert auch die Selbstwahrnehmung.

Es gibt viele Wege, ein Journal zu führen. Wichtig ist, eine Methode zu finden, die zu Ihnen passt. Hier einige in Deutschland beliebte Ansätze:

  • Bullet Journal: Ideal für strukturierte Menschen zur Organisation des Alltags. Notizbücher von Marken wie Leuchtturm1917 sind hierfür sehr beliebt.
  • Sorgen-Tagebuch: Eine Technik aus der kognitiven Verhaltenstherapie, bei der man sich täglich eine feste Zeit nimmt, um Sorgen aufzuschreiben und sie dann bewusst loszulassen.
  • Dankbarkeitstagebuch: Jeden Abend drei Dinge notieren, für die man an diesem Tag dankbar war. Dies trainiert das Gehirn, den Fokus auf das Positive zu lenken.
  • HRV-Tracking-Journal: Notieren Sie täglich Ihre HRV-Werte (falls Sie diese messen) und die wichtigsten Einflussfaktoren des Tages (Schlaf, Ernährung, Stress, Bewegung).

Starker Körper, starker Geist: Wie Ihre körperliche Fitness Ihre mentale Resilienz beeinflusst

Die positive Wirkung von Bewegung auf unsere Stimmung ist für die meisten Menschen unmittelbar spürbar. Nach einem zügigen Spaziergang oder einer Sporteinheit fühlen wir uns oft klarer, energiegeladener und positiver. Dieser Effekt ist keine Einbildung, sondern das Ergebnis tiefgreifender biochemischer Prozesse. Körperliche Aktivität ist einer der stärksten natürlichen Regulatoren für unsere psychische Gesundheit. Sie wirkt wie ein Reset-Knopf für ein überlastetes Nervensystem.

Nahaufnahme von Wanderschuhen auf deutschem Waldweg mit Moos und Blättern

Wenn wir uns bewegen, schüttet der Körper Endorphine aus, die schmerzlindernd und euphorisierend wirken. Gleichzeitig wird die Produktion von Stresshormonen wie Cortisol reguliert. Noch wichtiger ist aber vielleicht die Wirkung auf das Gehirn selbst. Sport fördert die Ausschüttung des Botenstoffs BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor), der oft als „Wachstumsdünger für das Gehirn“ bezeichnet wird. BDNF fördert das Wachstum neuer Nervenzellen und synaptischer Verbindungen, insbesondere im Hippocampus, einer Gehirnregion, die für Lernen, Gedächtnis und die Regulation von Emotionen entscheidend ist. Internationale Studien belegen, dass Training nachweislich die psychische Gesundheit fördert, Depressionen entgegenwirkt, das Selbstbewusstsein verbessert und sogar das Demenzrisiko verringert.

Sie müssen dafür keinen Marathon laufen. Die gute Nachricht ist, dass bereits moderate, aber regelmäßige Bewegung enorme Effekte hat. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass schon 20-minütige flotte Spaziergänge – idealerweise in der Natur – ausreichen, um einen messbar positiven Effekt auf unseren Organismus und unsere Stimmung zu haben. Rhythmische Bewegungen wie Gehen, Laufen oder Radfahren helfen dem Nervensystem, aus einem Zustand der Erstarrung oder Übererregung wieder in einen harmonischen Rhythmus zu finden. Sie signalisieren dem Körper Handlungsfähigkeit und Kontrolle, was wiederum das Gefühl der mentalen Stärke und Resilienz fördert. Ein starker Körper bildet somit das Fundament für einen widerstandsfähigen Geist.

Stress als Gift-Magnet: Wie Anspannung die Körperreinigung lähmt

Unser Körper verfügt über ein ausgeklügeltes System zur Selbstreinigung, in dem das Lymphsystem eine zentrale Rolle spielt. Man kann es sich als die Müllabfuhr des Körpers vorstellen. Es transportiert Zellabfälle, Toxine und Krankheitserreger ab. Anders als der Blutkreislauf, der vom Herzen angetrieben wird, hat das Lymphsystem jedoch keine eigene Pumpe. Es wird hauptsächlich durch unsere Muskelbewegungen und eine tiefe Atmung in Gang gehalten. Und genau hier wird chronischer Stress zum Problem.

Wenn wir unter ständiger Anspannung stehen, ist unser sympathisches Nervensystem dauerhaft aktiv. Unsere Muskeln sind verspannt, unsere Atmung wird flach und schnell. Wir bewegen uns weniger. Dieser Zustand lähmt den Lymphfluss. Die „Müllabfuhr“ gerät ins Stocken, und Giftstoffe können sich im Gewebe ansammeln. Dies kann sich in Form von Müdigkeit, einem geschwächten Immunsystem, Hautproblemen oder einem allgemeinen Gefühl der „Schwere“ äußern. Chronischer Stress macht den Körper also buchstäblich zu einem Magneten für Giftstoffe. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass bei einem dauerhaft überaktivierten autonomen Nervensystem Gesundheitsfolgen wie Fettleibigkeit, Diabetes Typ 2, Herzerkrankungen sowie Depressionen und Angstzustände deutlich häufiger auftreten.

Glücklicherweise können wir diesen Prozess aktiv umkehren, indem wir den Parasympathikus stärken und den Lymphfluss anregen. Viele dieser Methoden sind tief in der deutschen Gesundheitskultur verwurzelt, wie etwa die ganzheitliche Kneipp-Therapie, die darauf abzielt, Körper, Geist und Seele durch einfache Anwendungen in Einklang zu bringen. Folgende Maßnahmen sind besonders wirksam:

Ihr Plan zur Aktivierung der Körperreinigung

  1. Trockenbürsten: Bürsten Sie morgens vor dem Duschen Ihren Körper mit einer Naturborstenbürste (erhältlich in Drogeriemärkten wie dm oder Rossmann) immer in Richtung Herz. Das regt Haut und Lymphsystem an.
  2. Leichtes Trampolinspringen: Nur 10 Minuten „Rebounding“ auf einem Minitrampolin bringen das gesamte Lymphsystem durch den Schwerkraftwechsel effektiv in Schwung.
  3. Spezielle Yoga-Drehungen: Drehübungen im Yoga (Twists) massieren die inneren Organe und unterstützen die Entgiftung.
  4. Saunagänge: Das Schwitzen in der Sauna ist eine der effektivsten Methoden, um Giftstoffe über die Haut auszuscheiden. Die deutsche Saunakultur bietet hierfür ideale Bedingungen.
  5. Kneipp-Anwendungen: Regelmäßige Wechselduschen (heiß-kalt) trainieren die Gefäße und fördern die Durchblutung sowie den Lymphfluss.

Das Wichtigste in Kürze

  • Körper und Geist befinden sich in einem ständigen Dialog, der maßgeblich über den Vagusnerv gesteuert wird. Signale vom Körper zum Gehirn sind dabei dominanter.
  • Die Herzratenvariabilität (HRV) ist ein direkter, messbarer Indikator für die Balance Ihres Nervensystems und Ihre Fähigkeit, mit Stress umzugehen.
  • Sie können diesen Dialog aktiv gestalten, indem Sie durch gezielte, kleine Praktiken (Atmung, Bewegung, Ernährung) Ihr parasympathisches Nervensystem („die Bremse“) aktivieren.

Mehr als nur gesund: Der praktische Wegweiser zu wahrem Wohlbefinden im Alltag

Wir haben nun die faszinierende Wissenschaft hinter der Körper-Geist-Verbindung beleuchtet und eine Reihe wirksamer Werkzeuge kennengelernt, um diesen Dialog positiv zu gestalten. Der Schlüssel zu wahrem, nachhaltigem Wohlbefinden liegt jedoch nicht darin, all diese Techniken auf einmal perfekt umsetzen zu wollen. Das würde nur neuen Stress erzeugen. Vielmehr geht es darum, ein Bewusstsein für die Bedürfnisse Ihres Körpers und Geistes zu entwickeln und kleine, aber regelmäßige Rituale in Ihren Alltag zu integrieren. Dr. Sylvain Laborde von der Deutschen Sporthochschule Köln fasst das Prinzip treffend zusammen:

Wenn man unseren Körper mit einem Auto vergleicht, dann ist der Sympathikus das Gas und der Parasympathikus die Bremse.

– Dr. Sylvain Laborde, Deutsche Sporthochschule Köln

Ein Leben im Gleichgewicht bedeutet, beide Pedale bewusst einsetzen zu können. Es geht darum, nach einer Phase der Anspannung (Gas) auch bewusst in die Erholung (Bremse) zu schalten. Ein einfacher Wochenplan kann dabei helfen, diese Balance zu strukturieren und zur Gewohnheit werden zu lassen. Wichtig ist: Dieser Plan ist eine Anregung, kein starres Korsett. Passen Sie ihn an Ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten an.

Wochenplan für ganzheitliches Wohlbefinden
Wochentag Aktivität Dauer Krankenkassen-Zuschuss möglich
Montag Meditation/Atemübung 10 Min Ja (§20 SGB V)
Dienstag Meal Prep (gesunde Mahlzeiten vorbereiten) 30 Min Nein
Mittwoch Flotter Waldspaziergang 20 Min Nein
Donnerstag Yoga oder sanftes Dehnen 30 Min Ja (Präventionskurs)
Freitag Journaling (Gedanken der Woche reflektieren) 15 Min Nein

Dieser strukturierte Ansatz kann Ihnen helfen, die vorgestellten Methoden nicht nur zu kennen, sondern sie auch zu leben. Verstehen Sie diesen Plan als Ihren persönlichen Wegweiser zu mehr Wohlbefinden.

Beginnen Sie noch heute, indem Sie sich nur eine einzige dieser Praktiken für die kommende Woche vornehmen. Seien Sie neugierig und beobachten Sie ohne Urteil, was sich in Ihrem Körper und Ihrem Geist verändert. Der Weg zu wahrem Wohlbefinden ist eine Reise, kein Ziel – und jeder kleine Schritt zählt.

Geschrieben von Lena Bauer, Dr. Lena Bauer ist promovierte Psychologin und zertifizierte Schlafberaterin aus Hamburg mit Expertise in kognitiver Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I). Seit über 8 Jahren hilft sie gestressten Berufstätigen, wieder zu einem erholsamen Schlaf zu finden.